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title: Einheit 1 - Definition der Herausforderung
tags: Selbstermächtigung
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==Einstiegsvideo==
## Fallbeispiel: "Das funktioniert alles nicht!"
Wir starten mit mehreren Fallbeispielen von Lehrerinnen und Lehrern, die alle vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen.
### A. Herr Meier
Herr Meier unterrichtet Sport und Englisch an einer weiterführenden Schule in Oldenburg. Die Schulleitung an seiner Schule hat vor kurzem ein Learning Managment System (LMS) eingeführt. Die Vorgabe ist, dass alle Kolleginnen und Kollegen das neue System spätestens ab dem kommenden Schuljahr im Unterricht einsetzen sollen. Herr Meier findet das verkehrt. Er ist bisher auch ohne solch ein System gut zurecht gekommen. Außerdem kommt er mit solchen technischen Dingen einfach nicht gut zurecht. Er ist schließlich Lehrer und kein Programmierer.
### B. Frau Müller
Frau Müller unterrichtet Deutsch und Geschichte an einer weiterführenden Schule in Hannover. In letzter Zeit hört sie im Lehrer\*innenzimmer ständig von irgendwelchen Tools, die ihre Kolleginnen und Kollegen im Unterricht ausprobieren. Sie hat den Eindruck, dass ihre Schülerinnen und Schüler so etwas auch von ihr erwarten. Letzte Woche war sie deshalb auf einer Fortbildung zum Thema ‚Lehren mit digitalen Tools‘. Danach fühlte sie sich allerdings nur noch orientierungsloser, weil sie überhaupt nicht mitgekommen ist. Und dann ist da ja auch noch der Datenschutz, der sie verunsichert, weil sie gar nicht weiß, was sie überhaupt nutzen darf und was nicht.
### C. Herr Schmidt
Herr Schmidt unterrichtet Mathematik und Physik an einer weiterführenden Schule in Braunschweig. Er steht gerne vor der Klasse und steckt vor allem viel Leidenschaft in die Gestaltung von physikalischen Experimenten mit seinen Schülerinnen und Schülern. Nun hat die Schulleitung ihn allerdings in eine Arbeitsgruppe eingeteilt, die einen Projekttag vorbereiten soll. Das Ziel des Tages ist es, fächerverbindende Herausforderungen zu definieren und dann jahrgangsübergreifend zu bearbeiten. Ihm gefällt die Idee nicht. Was soll er da denn beitragen? Welche Ahnung hat er denn schon von Sozialkunde oder gar Französisch? Außerdem hat er dazu wirklich keine Zeit.
### D. Frau Schneider
Frau Schneider unterrichtet an einer Grundschule in Vechta. Sie hat eine tolle dritte Klasse mit wunderbaren Schülerinnen und Schülern und ihr Beruf macht ihr viel Freude. Noch schöner wäre es allerdings ohne all die vielen kleinen Nervereien, die ihr immer wieder begegnen. Dazu gehört zum Beispiel das Tablet, mit dem sie hin und wieder zu arbeiten versucht, aber dann meist schnell entnervt aufgibt oder das Whiteboard in ihrem Klassenzimmer, bei dem auch dauernd irgend etwas nicht funktioniert. Nun wurde auch noch ein neues, digitales Zeugnisprogramm an der Schule eingeführt. Sie ahnt schon, dass da neuer Frust auf sie wartet.
### Und Du?
Vielleicht geht es Dir manches Mal ein bisschen wie den hier vorgestellten Kolleginnen und Kollegen: Ständig neue Anforderungen und dabei viel zu wenig Zeit! Hier hilft es, zunächst für sich selbst im Kopf zu sortieren, was genau die Herausforderung ist. Darauf aufbauend ist es dann deutlich leichter, sie zu bewältigen.
## So kannst Du vorgehen
Um besser zu verstehen und dann handeln zu können, schauen wir uns zunächst an, mit welchen Rollen Lehrkräfte heutzutage konfrontiert sind. Darauf aufbauend lernen wir, Herausforderungen für uns zu sammeln und zu charakterisieren.
### Schritt 1: Verstehen
Die kanadische Initiative Ontario Extend baut ihr Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte darauf auf, dass für Lehrer\*innen im digitalen Zeitalter mindestens 5 Rollen zu einem früheren Verständnis des Lehrberufs hinzugekommen sind. Demnach sind Lehrkräfte …
* Kurator\*innen: Es gibt nicht mehr nur ein feststehendes Lehrwerk, mit dem unterrichtet wird, sondern eine Vielzahl von Angeboten und möglichen Quellen. Lehrer\*innen stehen vor der Herausforderung, geeignete Materialien zu finden und zum Lehren und Lernen produktiv zu nutzen.
* Technolog\*innen: Bildungsprozesse finden in einer zunehmend technologisierten Gesellschaft, zunehmend digital statt. Und mehr noch als das, prägt die Digitalisierung die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, arbeiten und leben. Das verändert auch die Art und Weise, wie und was wir lernen.
* Teamarbeiter\*innen: Während Lehrkräfte klassisch als Einzelkämpfer\*innen arbeiten, stellen die neuen Formen des Lernens sie mehr und mehr vor die Herausforderung im Team mit Kolleg\*innen zu arbeiten.
* Wissenschaftler\*innen: Nicht nur im Zusammenhang mit digitaler Bildung entstehen neue pädagogische Theorien. Ebenso fragt sich die Pädagogik, welche Kompetenzen Lernende in der heutigen Gesellschaft entwickeln müssen und wie Lehrkräfte dabei begleiten können. Diese Entwicklungen gilt es zu berücksichtigen und aufzugreifen.
* Entdecker\*innen: In der heutigen vernetzten Welt entwickeln Menschen schneller Ideen als früher. Man hat den Eindruck, dass ständig irgend etwas Neues entsteht. Darauf lässt sich reagieren mit Rückzug, Anpassung oder Gestaltung. Aus pädagogischer Perspektive, kann nur Gestaltung die richtige Antwort sein. Das setzt Entdeckungsfreude voraus.
Mit diesen vielfältigen Rollen von Lehrkräften im Blick verstehen wir besser, warum vielleicht auch wir uns häufig überfordert fühlen oder denken, den Ansprüchen nicht genügen zu können: Wir sind in sehr schnellem Tempo mit sehr vielen Herausforderungen konfrontiert!
### Schritt 2: Sammeln
Zu wissen, warum wir oft das Gefühl haben, den Ansprüchen nicht zu genügen, ist das eine. Diese Situation zu überwinden, das andere. Beginnen solltest du mit einer Sammlung aller Herausforderungen, vor denen Du stehst.
Praktisch bedeutet das, dass wir für uns aufschreiben, was genau unsere Schwierigkeiten, Fragen oder Herausforderungen sind. Dabei sollten wir so konkret wie möglich werden.
* ‚Das funktioniert nicht!‘ wird zu: ‚Was genau funktioniert nicht?‘
* ‚Das verstehe ich nicht!‘ wird zu: ‚Was genau verstehe ich nicht?‘
* ‚Das kann ich nicht!‘ wird zu: ‚Was genau kann ich nicht?‘
Anstatt also zum Beispiel zu schreiben ‚Ich komme mit der Technik an der Schule nicht zurecht‚. besser: ‚Das Whiteboard in meinem Klassenraum zeigt immer irgendwelche Fehlermeldungen an, die ich nicht verstehe.‘
Zweitens sollten wir größere und zusammenhängende Herausforderungen wenn möglich in kleinere Herausforderungen zerlegen. Anstatt zum Beispiel zu schreiben ‚Ich komme mit unserem Moodle nicht zurecht‚ besser ‚Ich kann das Moodle nicht bedienen‚ und ‚Ich weiß nicht, wie ich das Moodle in meinem Unterricht einsetzen kann.‘
Anstelle eines großen, unsortierten Kuddemlmuddels, das uns erschlägt, haben wir dann eine Liste mit konkreten Herausforderungen. Durch das Sammeln sind sie noch lange nicht gelöst, aber wir sind der Lösung einen wichtigen Schritt näher gekommen.
### Schritt 3: Charakterisieren
Wenn wir wie oben dargestellt unsere Herausforderungen sammeln, dann stehen auf der entstandenen Liste wahrscheinlich sehr unterschiedliche Dinge darauf. Intuitiv können wir uns denken, dass die Herausforderung ‚Mein Ton in der Videokonferenz funktioniert oft nicht‘ eine andere Lösungssuche benötigt als die Herausforderung ‚Ich finde, dass mein Unterricht nicht abwechslungsreich genug ist.‘
Um die unterschiedlichen Herausforderungen zu charakterisieren, können wir uns am so genannten Cynefin-Modell orientieren. Dieses geht von vier unterschiedlichen Arten von Herausforderungen aus. Demnach kann eine Herausforderung klar, kompliziert, komplex oder chaotisch sein. Je nachdem, wie eine Herausforderung kategorisiert wird, erfordert sie eine andere Lösungssuche. Wer sich für das Modell genauer interessiert, findet im [Wikipedia-Artikel](https://de.wikipedia.org/wiki/Cynefin-Framework) dazu nähere Informationen. Für unser Lernen möchten wir daran angelehnt eine Charakterisierung in zwei Kategorien vornehmen:
1. Geschlossene Herausforderungen: Eine geschlossene Herausforderung ist eine Herausforderung, zu der es bereits eine (oder auch mehrere) erprobte und funktionierende Lösungen gibt. Unser Ziel ist, diese Lösung zu finden, zu verstehen und nutzen zu können.
2. Offene Herausforderung: Ein offene Herausforderung ist eine Herausforderung, zu der es keine eindeutige Lösung gibt. Unser Ziel ist es deshalb, uns neugierig und mutig auf den Weg zu machen und eigene und neue Lösungen zu erproben. Dabei sind wur nicht allein, sondern können gemeinsam mit anderen lernen.
Wie genau die beiden Wege funktionieren, werden wir in den weiteren Lerneinheiten betrachten. In dieser ersten Lerneinheit zur Definition der Herausforderung geht es zunächst nur darum, dass Du beide Kategorien kennst und dass Du Herausforderungen entweder der einen oder der anderen Kategorie zuordnen kannst.
## Auflösung: Die Kolleg\*innen bringen Ordnung ins Chaos!
Herr Meier, Frau Müller, Herr Schmidt und Frau Schneider haben sich die drei Schritte durchgelesen, verstehen ihre Situation jetzt besser und machen sich daran, ihre jeweiligen Herausforderungen zu definieren.
* Herr Meier stellt fest, dass er seine Herausforderung im Umgang mit dem neuen Learning Management System in mindestens zwei Bereiche unterteilen kann. Zum einen ist er in Bezug auf den pädagogischen Einsatz unsicher. Dies ordnet er als offene Herausforderung ein. Zum anderen kennt er sich mit der technischen Bedienung noch nicht aus, was er als geschlossene Herausforderung kategorisiert.
* Frau Müller arbeitet für sich zunächst eine offene Herausforderung heraus: Wie kann ich meinen Unterricht abwechslungsreicher gestalten? Ihre zweite Herausforderung betriftt die Auswahl von für sie geeigneten Fortbildungen. Das betrachtet sie eher als geschlossene Herausforderung.
* Herr Schmidt tut sich zunächst schwer damit, für sich zu klären, was ganz konkret gefasst seine Herausforderung ist. Schließlich notiert er sich zwei Herausforderungen: 1. Wie kann ich Teamarbeit mit Kolleg\*innen gestalten? 2. Warum sollte ich das tun? Beides ordnet er als offene Herausforderungen ein.
* Frau Schneider erkennt ihre 'Nervereien' als geschlossene Herausforderungen. Sie schreibt sich drei auf: Erstens ein besseres Verständnis des Tablets, zweitens die korrekte Bedienung des Whiteboards und drittens die Einführung in das digitale Zeugnisprogramm.
## Jetzt bist Du dran!
Was die Kolleg\*innen können, kannst Du auch 🙂 Schreibe eine Liste mit allen Herausforderungen und Fragen, vor denen Du aktuell stehst.
* Sei möglichst konkret.
* Unterteile eine große Herausforderung in mehrere kleine Herausforderungen
* Schreibe zu jeder Herausforderung dazu, ob eher eine geschlossene oder eine offene Lösungssuche erforderlich ist.
Wenn Du Deine Liste fertig geschrieben hast, geht es in der nächsten Lerneinheit weiter mit der Lösungssuche.