Wiederholungsfrage 1: Wie lautet der Obersatz zu folgender Fallfrage: Verletzt die Maßnahme den A in seinen Grundrechten?
Das Gesetz/Urteil/die Maßnahme verletzt den A in seinen Grundrechten, wenn sie einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts darstellt.
Wiederholungsfrage 2: Was ist ein Beruf i. S. d. Art. 12 I GG?
Art. 12 I 1, 2 GG statuieren einen einheitlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit.
Definition des Berufs:
Beruf ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient und nicht ihrem Wesen nach verboten ist, weil sie schlechthin sozialschädlichen Charakter hat.
Wiederholungsfrage 3: Was besagt die Drei-Stufen-Theorie?
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Was meinen die Begriffe der Religion und der Weltanschauung?
Religion und Weltanschauung beruhen auf einer nicht beweisbaren, aber beim einelnen Menschen vorhandenen und den Kern seiner Persönlichkeit berührenden, für wahr gehaltenen Auffassung von der Stellung des Menschen in der Welt, vom Sinn des menschlichen Lebens, seiner Herkunft und seinem Ziel.
Bei Religionen: Gottesbezug
Bei Weltanschauungen: Kein transzendentes Modell
Beispiel: Kann sich die selbst so bezeichnende Gruppe "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters" hinsichtlich ihrer regelmßig stattfindenden "Nudelmessen", in denen dem sog. "Spaghettimonster" gehuldigt werden soll, auf die Religionsfreiheit berufen?
Beispiel: Scientology
Welche Verhaltensweisen sind von der Religionsfreiheit geschützt?
Die Freiheit, sich einem religiösen oder weltanschaulichen Glauben anzuschließen (forum internum) die Freiheit, diesen Glauben bzw. die Weltanschauung beispielsweise in Form religiöser oder weltanschaulicher Meinungsäußerung nach außen kund zu tun (forum externum).
Freiheit der Religionsausübung, also die Freiheit, ungestört religiöse Gebräuche und kultische Handlungen auszuüben.
Geschützt ist auch eine negative Dimension, also die Freiheit einen Glauben oder eine Weltanschauung nicht zu haben oder nicht auszuüben.
Das Ehepaar E und seine 15jährige Tochter T gehören einer orthodoxen islamischen Glaubensrichtung an. Diese Glaubensgemeinschaft versteht bestimmte Bekleidungsvorschriften des Koran (Sure 24, Vers 31 bzw. 32) dahingehend, dass es Frauen verboten ist, sich vor fremden Personen beiderlei Geschlechts unverhüllt zu zeigen; ausgenommen sind Gesicht und Hände.
Angesichts dieser Interpretation des Koran empfinden T und ihre Eltern das Tragen von Sportkleidung als unvereinbar mit ihrer Glaubensüberzeugung. Sie beantragen deshalb bei dem Schulleiter die dauernde Befreiung der T vom Sportunterricht.
Der Schulleiter weist den Antrag zurück. Zur Begründung führt er aus, dass auch der Sportunterricht von der Schulpflicht umfasst und Ausdruck des staatlichen Bildungsauftrags des Art. 7 I GG sei. Der Sportunterricht diene insbes. dazu, die Leistungs- und Widerstandskraft zu fördern, Haltungsschäden vorzubeugen, Freude an gesunder Lebensweise zu wecken und soziale Erfahrungen zu erwerben.
Trotz dieses ablehnenden Bescheids blieb T auch in der Folgezeit dem Sportunterricht mit dem Einverständnis ihrer Eltern fern. Gegen diese wurde daraufhin ein Bußgeldverfahren eingeleitet.
Die E erheben Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und – auch im Namen ihrer Tochter – Klage gegen den Bescheid des Schulleiters. Sie unterliegen in beiden Verfahren letztinstanzlich.
Durch den Bescheid des Schulleiters und das letztinstanzliche Urteil fühlt T sich in ihrer Glaubensfreiheit aus Art. 4 I, II GG verletzt. Die Eltern der T fühlen sich in ihrem elterlichen Erziehungsrecht aus Art. 6 II 1 in Verbindung mit Art. 4 I, II GG sowohl durch den Bescheid des Schulleiters als auch durch den Bußgeldbescheid sowie die bestätigenden Urteile verletzt. Haben die Verfassungsbeschwerden von T und ihren Eltern Aussicht auf Erfolg?
Zwei Verfassungsbeschwerden.
Hingewiesen wird auf folgende Normen:
Teil 1: Die Verfassungsbeschwerde der T
A. Zulässigkeit
Die Verfassungsbeschwerde der T hat Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.
I. Zuständigkeit, Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG
II. Beschwerdefähigkeit, § 90 I BVerfGG
III. Prozessfähigkeit
IV. Beschwerdegegenstand, § 90 I BVerfGG
= Ein tauglicher Beschwerdegegenstand ist nach § 90 I BVerfGG jeder Akt der öffentlichen Gewalt, also solche der Legislative, Judikative oder Exekutive, vgl. Art. 1 III GG
Hier: Ablehnung durch den Schulleiter und letztinstanzliches Urteil.
V. Beschwerdebefugnis, § 90 I BVerfGG
Voraussetzungen:
Möglichkeit
Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung besteht, wenn nicht offensichtlich und von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Beschwerdegegenstand den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt.
Problem: Schulverhältnis als besonderes Gewaltverhältnis?
Betroffenheit
VI. Rechtswegserschöpfung und Grundsatz der Subsidiarität
VII. Form und Frist
VIII. Ergebnis der Zulässigkeitsprüfung
Die Verfassungsbeschwerde der T ist zulässig.
B. Begründetheit
B. Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde der B ist begründet, soweit die T durch die Ablehnung der Befreiung vom Sportunterrichts in Form des Urteils in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist, Art. 93 I Nr. 4a GG.
In Betracht kommt eine Verletzung der Glaubensfreiheit aus Art. 4 I, II GG
Bei Freiheitsgrundrechten liegt eine Grundrechtsverletzung dann vor, wenn die Maßnahme einen Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts darstellt, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.
I. Verletzung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Art. 4 I, II GG
1.Schutzbereich
a) Personell
Art. 4 I, II GG ist ein sog. Jedermann-Grundrecht.
b) Sachlich
Schritt 1: Abstrakte Umschreibung des Schutzgehaltes
Art. 4 I und II GG umschreiben einen einheitlichen Schutzbereich. Nämlich die Freiheit, Glauben, Religion und Weltanschauung zu bilden und zu haben (forum internum) sowie zu äußern und dementsprechend zu handeln (forum externum).
Schritt 2: Handelt es sich um Glauben, Gewissen, Religion oder Weltanschauung?
Eine Religion ist eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens. Die Religion legt eine den Menschen überschreitende, dem Beweis nicht zugängliche und umgreifende ('transzendentale') Wirklichkeit zugrunde.
Ist die orthodoxe islamische Glaubensgemeinschaft hiernach eine Religion?
Schritt 3: Ist das in Rede stehende Verhalten von der Religionsfreiheit geschützt?
Hier: T empfindet das Tragen von Sportkleidung als unvereinbar mit religiösen Vorschriften?
Der Schutzbereich ist eröffnet.
2.Eingriff
Klassischer Eingriffsbegriff:
Jede Maßnahme mit der final, unmittelbar, rechtsförmig und imperativ eine in den Schutzbereich fallende Tätigkeit beeinträchtigt wird.
Problem: Finalität
Schulleiter und Gericht bezwecken nicht, dass T in ihrer Religionsfreiheit beeinträchtigt wird, sondern wollen diese zur Teilnahme am Sportunterricht bewegen.
Moderner Eingriffsbegriff:
Nach dem modernen Eingriffsbegriff sind auch bloß faktische Beeinträchtigungen, die nur eine unbeabsichtigte Nebenfolge darstellen Eingriffe, wenn sie vorhersehbar und zurechenbar sind.
Vorhersehbarkeit: (+)
Zurechenbarkeit: (+)
3.Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Ein Grundrechtseingriff ist gerechtfertigt, wenn er eine verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeiten des Grundrechts darstellt.
I. Eingriff in den Schutzbereich
II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Obersatz: Ein Grundrechtseingriff ist gerechtfertigt, wenn er eine verfassunsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeiten des Grundrechts darstellt.
1.Einschränkbarkeit
2.Verfassungsmäßige Konkretisierung
Die Maßnahme(n) stellen eine verfassungsmäßige Konkretisierung der Schranken des Art. 4 I, II GG dar, wenn sowohl die dem Bescheid zugrundeliegenden Normen als auch deren Anwendung in Form des Bescheids/Urteils verfassungsgemäß sind.
ggf.: a) Prüfungsumfang (bei Urteilsverfassungsbeschwerden)
b)Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
c)Verfassungsmäßigkeit des Einzelaktes
insbes.: Verhältnismmäßigkeit
a) Einschränkbarkeit
Art. 4 I, II GG:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Art. 136 I WRV: (1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
Hier §§ 12 und 17 des Schulgesetzes und § 24 der Schulordnung die aufgrund eines formellen Gesetzes ergangen sind. Die Normen sind Ausdruck der in Art. 7 I GG verankerten Aufsicht des Staates über das gesamte Schulwesen.
Daher sind sie grundsätzlich geeignet die Glaubensfreiheit einzuschränken.
b) Verfassungsmäßige Konkretisierung
Der Bescheid und das bestätigende Urteil stellen eine verfassungsmäßige Konkretisierung der Schranken des Art. 4 I, II GG dar, wenn sowohl die dem Bescheid zugrundeliegenden Normen als auch deren Anwendung in Form des Bescheids/Urteils verfassungsgemäß sind.
aa) Prüfungsumfang
Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz. Es beschränkt seine Prüfung auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.
bb) Verfassungsmäßigkeit des SchulG und der SchulO
Keine Bedenken!
cc) Verfassungsmäßigkeit des Einzelaktes
Fraglich ist, ob die Entscheidung des Schulleiters und das diese Entscheidung bestätigende Urteil verfassungsgemäß sind. In formeller Hinsicht ist keine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts ersichtlich. Auf materieller Ebene liegt eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts insbes. vor, wenn bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt wurde.
Hier kann eine Befreiung vom Unterricht erteilt werden. Insoweit steht dem Schulleiter also ein Ermessen zu. Dieses besteht aber nur soweit, wie die getroffene Entscheidung nicht die Grundrechte verletzt, etwa weil sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.
(1) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(a ) Legitimer Zweck
(b ) Geeignetheit
(c ) Erforderlichkeit
(d ) Verhältnismäßigkeit i. e. S.
Ein Mittel ist verhältnismäßig i.e.S., wenn die Wichtigkeit der Förderung des Zwecks bedeutender ist als der Grad der Nichterfüllung der entgegenstehenden Interessen. Je intensiver der Grundrechtseingriff, desto schwerer müssen die ihn rechtfertigenden Gründe wiegen. Dementsprechend ist zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe eine Abwägung vorzunehmen. Die Glaubensfreiheit ist gegen den staatlichen Bildungsauftrag abzuwägen.
dd) Zwischenergebnis
Bescheid und Urteil stellen keine verfassungsmäßige Konkretisierung der Schranken des Art. 4 I, II GG dar.
c) Zwischenergebnis
Der Eingriff in die Glaubensfreiheit ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
2.Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG
a) Eingriff in den Schutzbereich
aa) Schutzbereich
Handelt es sich bei dem Schulbesuch um einen Beruf?
Art. 3 GG:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
a) Verletzung des Art. 3 III 1 Var. 1, Var. 6 GG
Fraglich ist, ob die T in ihren Gleichheitsgrundrechten aus Art. 3 GG verletzt ist. In Betracht kommt insofern eine Verletzung in den speziellen Diskriminierungsverboten des Art. 3 III 1 Var. 1, Var. 6 GG.
Dies ist der Fall, wenn eine Ungleichbehandlung wegen der Merkmale i. S. d. Art. 3 III 1 Var. 1, Var. 6 GG vorliegt und diese verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.
aa) Ungleichbehandlung i. S. d. Art. 3 III 1 Var. 1, Var. 6 GG
Vorliegend müsste eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts (Var. 1) oder wegen der Religion (Var. 6) vorliegen.
Merkmale: Religion und Geschlecht
Ungleichbehandlung:
:Exclamation: Schulpflicht trifft grds. alle Schüler:innen unabhängig von Geschlecht/Religion;
Besondere Betroffenheit von muslimischen Schülerinnen?
"wegen" des Merkmals?
bb) Rechtfertigung
Nur durch kollidierendes Verfassungsrecht.
Falls Ungleichbehandlung (-):
b) Verletzung von Art. 3 I GG (Allgemeiner Gleichheitssatz)
aa) Rechtlich relevante (Un-)Gleichbehandlung von wesentlich (Un-)Gleichem
bb) Rechtfertigung
(1) Willkürformel
(2) Neue Formel
-> Wichtig: Hier genügt i. Erg. der überwiegende sachliche Grund.
III. Ergebnis der Begründetheitsprüfung
Die Verfassungsbeschwerde der T ist begründet.
C. Gesamtergebnis
Die Verfassungsbeschwerde der T ist zulässig und begründet.
B. Verfassungsbeschwerde der Eltern (E)
In welchem Grundrecht sind die Eltern E betroffen?
Art. 4 I, II GG?
Art. 6 II 1 GG?
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.
Hier: Art. 6 II 1 i. V. m. Art. 4 I, II GG