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## Fall 3b Zulässigkeit
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Bundestag erlässt Smartphone-Verbot an Schulen (Mobbing, Aufmerksamkeitsdefizit).
Auch in den Pausen.
:iphone: kann eingesammelt werden.
Schülerin A klagt dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht. :female-judge:
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## Was meint die Fallfrage?
| Zulässigkeit | Begründetheit |
|:------------------------------------------------------------------------:|:------------------------------------------------------------------------------:|
| Darf ich mit meiner Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgericht? :door: | Kann ich mich dann auch erfolgreich auf verletzte Grundrechte berufen? :medal: |
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## Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
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### I. Zuständigkeit des BVerfG, Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a BVerfGG
> "Die Zuständigkeit des BVerfG für die Verfassungsbeschwerde ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG und §§ 13 Nr. 8a, BVerfGG."
Note:
- hier nicht mehr als diesen Satz schreiben
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### II. Beteiligtenfähigkeit, § 90 BVerfGG
> "Weiterhin müsste A auch beteiligtenfähig i.S.d. § 90 I BVerfGG sein. Danach ist jeder Träger von Grundrechten beteiligtenfähig („jedermann“). „Jedermann“ bedeutet, dass auch Kinder und Jugendliche Verfassungsbeschwerde erheben können. Somit ist auch die A als minderjährige Schülerin beteiligtenfähig."
Note:
- teilweise wird auch von Beschwerdefähigkeit/Beschwerdeberechtigung, Antragsberechtigung gesprochen
- ein Satz, wenn natürliche Person
- P: juristische Personen
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### III. Prozessfähigkeit
= die Fähigkeit, die erforderlichen Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen.
keine ausdrückliche Regelung der Prozessfähigkeit im BVerfGG.
Note:
- wird auch als Verfahrensfähigkeit bezeichnet
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Die A möchte den Prozess selbst führen, ohne sich von den Eltern vertreten zu lassen; Es ist umstritten, ob es auf die Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen ankommt oder ob auf sog. „starre Altersgrenzen“ abgestellt wird:
* Eine Ansicht: Abstellen auf einfachgesetzliche Normen, §§ 104 ff. BGB analog
* Andere Ansicht (hM): Abstellen auf persönliche Einsichtsfähigkeit des/der Minderjährigen (Grundrechtsmündigkeit)
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### IV. Beschwerdegegenstand, § 90 I BVerfGG
> "Darüber hinaus müsste ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegen. § 90 I BVerfGG benennt hier jeden Akt der öffentlichen Gewalt. Dies kann jeder Akt der Legislative, der Exekutive oder der Judikative sein."
Note:
- im Fall wendet sich A gegen ein Gesetz
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### V. Beschwerdebefugnis, § 90 I BVerfGG
Des Weiteren müsste A über die erforderliche Beschwerdebefugnis verfügen, vgl. § 90 I BVerfGG. Voraussetzungen hierfür sind:
1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung
2. Selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen
Zweck: Ausschluss von Popularklagen
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#### 1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung
Hier nur die in Betracht kommenden Grundrechte kurz ansprechen.
:exclamation: Nicht komplett prüfen - können in der Begründetheit auch abgelehnt werden
Note:
- verschiedene Probleme müssen hier aufgeworfen werden:
- juristische Personen - Art. 19 III GG
- EU-Ausländer:innen
- mittelbare Drittwirkung (GR zwischen Privaten)
- in jedem Fall Art. 2 I GG möglich
- auch Art. 14 GG eine Option
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#### 2. Selbst, Gegenwärtig, Unmittelbar
**selbst:** Geltendmachung eigener Rechte
**Gegenwärtigkeit**: liegt vor, wenn der staatliche Akt aktuelle grundrechtsbeeinträchtigende Rechtswirkungen, d.h. Rechtswirkungen gegenüber dem/der Beschwerdeführer/in entfaltet, die sich bereits realisiert haben und noch fortwirken oder sich mit Sicherheit in der Zukunft realisieren werden.
**Unmittelbarkeit:** liegt bei Gesetzen grundsätzlich nur dann vor, wenn es für die rechtsbeeinträchtigenden Wirkungen keines weiteren Vollzugsaktes bedarf.
Note:
- selbst - s.o. - Ausschluss der Popularklage (gerade keine Prozessstandschaft)
- gegenwärtig - P: noch nicht in Kraft getreten (aber kurz davor)
- Unmittelbar - hier ist die Norm self-executing (inhaltlich konkretisierte Verpflichtungen treten sofort in Kraft)
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### VI. Rechtswegerschöpfung & Subsidiarität, § 90 II BVerfGG
:pencil: Rechtswegerschöpfung ist in der Klausur häufig durch Bearbeitungsvermerk vorgegeben
Note:
- Subsidiarität wird v.a. bei Gesetzen relevant
- Ausnahme in § 90 II 2 BVerfGG - allgemeine Bedeutung / schwere, unabwendbare Nachteile - Ermessensentscheidung, nicht bei jeder dringlichen Sachen (z.B. Corona-VO - Tatsachenlage sollte erst durch die Fachgerichte geklärt werden)
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### VII. Form, Frist, §§ 23, 92, 93 BVerfGG
* Schriftlich und mit Begründung erhoben?
* Die Frist beträgt ein Jahr, da es sich bei dem angegriffenen Akt der öffentlichen Gewalt um ein Gesetz handelt.
Note:
Zur Frist und Form gibt es einen Fall in Woche 5.
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### VIII. Rechtsschutzbedürfnis
Note:
- normalerweise indiziert
- gibt es Anhaltspunkte im Sachverhalt, dass das Beschwerdieziel irgendwie auf andere Weise erreicht werden kann?
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### IX. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde der A ist somit zulässig.
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## Gleichheitsgrundrechte
**Art. 3 GG**
==(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.==
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
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## Prüfungsaufbau der Verletzung eines Gleichheitsgrundrechts
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> "Bei Gleichheitsrechten liegt eine Grundrechtsverletzung dann vor, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird und diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist."
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### I. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem
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#### 1. Wesentlich Gleiches
Schritt 1: Bildung von Vergleichsgruppen
Schritt 2: Bildung eines Oberbegriffes
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#### 2. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung
Fälle, in denen eine Ungleichbehandlung nicht rechtlich relevant ist:
* Ungleichbehandlung wird von unterschiedlichen Trägern öffentlicher Gewalt vorgenommen
* Ungleichbehandlung liegt vor, weil im Bezugsfall rechtswidrig verfahren wurde: „Keine Gleichheit im Unrecht!“.
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### II. Rechtfertigung
:exclamation: Prüfungsmaßstab variiert nach Art der Ungleichbehandlung:
**Willkürformel (Evidenzkontrolle):** Art. 3 I GG ist verletzt, wenn sich bei der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender ==Grund== für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muss.
**Neue Formel:** Art. 3 I GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressat:innen im Vergleich zu anderen Normadressat:innen anders behandelt wird, obwohl keine Differenzierungsgründe von ==solcher Art und solchem Gewicht== bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung ==rechtfertigen==.
Note:
- neue Formel ist weiter - es wird eine Abwägung vorgenommen
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## Übungsfall Art. 3 I GG
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### Sachverhalt
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G lebt in der Gemeinde L im Landkreis L und möchte Freizeitbad in Gemeinde M besuchen.
Das Freizeitbad wird von einer GmbH betrieben, deren einzige Gesellschafterin der Fremdenverkehrsverband (=Körperschaft des öffentlichen Rechts), der wiederum aus Landkreis M und weiteren Gemeinden besteht.
Einwohner:innen aus Gemeinden, die dem Fremdenverkehrsverband angehören, zahlen geringeren Eintrittspreis.
G rügt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung.
Z meint, dass die Gemeindebewohner:innen mittelbar über die Steuern die Lasten des Freizeitbades zu tragen hätten und daher ein geringerer Eintrittspreis gerechtfertigt sei.
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Fallfrage: Verletzt die Preisgestaltung den G in Art. 3 I GG?
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## Lösung
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> "Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist gegeben, wenn eine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte vorliegt, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist."
Note:
Ebenso wesentlich ungleiche Sachverhalte gleich behandelt möglich
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### I. Anwendbarkeit
- es muss Träger öffentlicher Gewalt tätig geworden sein
- Z-GmbH juristische Person des Privatrechts
- Fremdenverkehrsverband
- "Keine Flucht ins Privatrecht"'
Note:
Einziger Gesellschafter der Z-GmbH ist der Fremdenverkehrsverband. Dieser ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, bestehend aus dem Landkreis M sowie weiteren anderen Gemeiden im Landkreis.
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### II. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem
Es müsste eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vorliegen.
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#### 1. Wesentlich Gleiches
- Vergleichsgruppenbildung
- Freizeitbadnutzer:innen die einer dem Zweckverband angehörenden Gemeinde wohnen / nicht vom Zweckverband erfasste Gemeindemitglieder
- gemeinsamer Oberbegriff ("tertium comparationis"): Freizeitbadnutzer:innen
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#### 2. Rechtlich relevante Ungleichbehandlung
- je nach Gemeinde wurden unterschiedliche Eintrittspreise erhoben
- rechtlich relevante Ungleichbehandlung liegt vor
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### III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Ungleichbehandlung könnte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein
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#### 1. Prüfungsmaßstab
- Prüfungsmaßstab variiert je nach Regelungsmaßstab, Differenzierungsmerkmalen, Regelungszweck
- verhaltensbezogene Ungleichbehandlung: Willkürformel
- bei personenenbezogener Ungleichbehandlung: neue Formel
Note:
- je schwerer die Beeinträchtigung, desto eher kommt die neue Formel zum tragen
- kann ich mit meinem Verhalten etwas an der Ungleichbehandlung ändern? Falls ja, wie leicht?
- idF ist ein Umzug in die andere Gemeinde eher unpraktisch
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#### 2. Willkürformel
- dem Zweckverband angehörende Gemeindemitglieder finanzieren über Steuerabgaben mittelbar Freizeitbad
- allerdings: alleiniger Gesellschafter ist Fremdenverkehrsverband
- Freizeitbad wirbt landkreisüberschreitend
- gerade keine allein bevorzugte Förderung der eigenen Gemeindemitglieder
Note:
- Struktur des Fremdenverkehrsverbandes ist landkreisüberschritend
- es gibt schon keinen sachlichen Grund
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#### Zwischenergebnis
Die Ungleichbehandlung ist damit nicht gerechtfertigt
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### IV. Ergebnis
Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG ist verletzt
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