# Mietpreisbremse
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## Vorab: Umkämpfter Wohnungsmarkt
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Note:
- Mietpreisbremse als Instrument im BGB
- Mietendeckel als ordnungspolitische Maßnahme (Preise einfrieren)
- Große Immobilienkonzerne Enteignen --> Art. 15 GG
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(Bundes-) Gesetzgeber: schafft im Jahr 2015 mit einer formell rechtmäßigen Änderung des Mietrechts Vorschriften zur Regulierung der Miethöhe bei Mietbeginn im nicht preisgebundenen Wohnraum (sog. "Mietpreisbremse").
Regelungsziele:
- stark ansteigenden, teilweise in erheblichem Maß über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegenden Mieten bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen begegnen
- Verdrängung von wirtschaftlich weniger leistungsfähigen Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Wohnquartieren entgegenwirken.
- Durch die Orientierung am Mietspiegel soll die Wirtschaftlichkeit der Vermietung sichergestellt werden.
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§ 556d Zulässige Miete bei Mietbeginn; Verordnungsermächtigung
(1) Wird ein Mietvertrag über Wohnraum abgeschlossen, der in einem durch Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt liegt, so darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Absatz 2) höchstens um 10 Prozent übersteigen.
(2) Die Landesregierungen werden ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten durch Rechtsverordnung für die Dauer von höchstens 5 Jahren zu bestimmen. Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten liegen vor, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn
(...)
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Ausnahmeregelungen:
- Miete der Vormieter:innen kann übernommen werden
- modernisierte Wohnungen sind von der Mietpreisbremse ausgeschlossen
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Für die Stadt Berlin erlässt der Senat von Berlin eine Rechtsverordnung nach § 556d Abs. 2 BGB, welche das gesamte Stadtgebiet von Berlin für die Dauer von fünf Jahren zu einem angespannten Wohnungsmarkt im Sinne des § 556d Abs. 1 BGB erklärt.
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Frau Nguyen (N) zieht im Sommer 2016 in das Berliner Stadtgebiet. Ihr Mietvertrag sieht eine weit über der höchstzulässige Miete gem. § 556d Abs. 1 BGB liegende Miete vor. Sie wendet sich daraufhin an das Amtsgericht und beantragt die Feststellung, dass sie nur eine dem § 556d Abs. 1 BGB entsprechenden Mietzins zahlen müsse. Das Amtsgericht gibt der Klage statt, da die bei Mietbeginn vereinbarte Miete die höchstzulässige Miete übersteige.
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Daraufhin legt die Eigentümerin und Vermieterin Frau Bakis (B) die - zulässige - **Berufung** beim LG Berlin ein.
Arg.: Die Vorschrift des § 556d Abs. 1 BGB greife nicht sinnvoll in den aus ihrer Sicht funktionierenden Mietmarkt ein. Sie fühle sich durch die Regelung regelrecht enteignet. Dagegen schütze sie doch aber das Grundgesetz.
Sie möchte selbst über die Nutzung ihres Eigentums bestimmen und würde Ihre Wohnung gerne für einen von ihr festgelegten Mietzins an zahlungskräftige Mieter:innen vermieten.
Überhaupt würden sich ja noch viel mehr potentielle Mieter:innen als bisher bei ihr melden, wenn sie ihre Wohnung auch noch günstiger anbieten würde. Am Ende würden aber zahlungskräftige Mieter:innen besonders profitieren und bekämen mit hoher Wahrscheinlichkeit die von ihnen gewünschte Wohnung zum gedeckelten Preis. Es könnte doch nicht gewollt sein, dass sie sich unter diesen Umständen mit noch mehr potentiellen Mieter:innen herumschlagen müsse.
Zudem sei die Gentrifizierung Berlins doch auch von Vorteil für die Stadt. Neue, wohlhabende Bewohner:innen brächten neue Lebendigkeit und Attraktivität in die Stadt. Auf diese Weise würden Problemviertel zu attraktiven Wohngegenden werden. Die B fühlt sich in ihrer Eigentümerposition beeinträchtigt.
Note:
- teilweise muss aus dem Geschwafel der wesentliche Kern herausgearbeitet werden (Nebelkerzen)
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Das LG Berlin hält die Vorschrift des § 556d Abs.1 und 2 BGB für verfassungswidrig und berät nun über die weiteren Schritte.
1. Fallfrage: Welche weiteren Schritte muss das LG Berlin im Folgenden ergreifen?
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* Das LG Berlin kann das Gesetz nicht selbst für nichtig erklären
* Art. 100 I GG:
> Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.
Dieses **Vorlageverfahren** wird **Konkrete Normenkontrolle** genannt
Note:
Abgrenzung zur abstrakten Normenkontrolle
- Das Verfahren ist in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 2a GG und §§ 76 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt.
- Der Antrag kann nur von der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages gestellt werden. Bürgerinnen und Bürger sind in dieser Verfahrensart nicht antragsberechtigt. Der Antrag ist nicht fristgebunden. Es kommt auch nicht auf die Verletzung eigener Rechte des Antragstellers an.
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2. Fallfrage: Prüfen Sie die Zulässigkeit der Vorlage!
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| Zulässigkeit der VB | Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle |
| --------------------------- | ------------------------------------------ |
| I. Zuständigkeit | |
| II. Beteiligtenfähigkeit |I. Vorlageberechtigung, Art. 100 I GG |
| III. Prozessfähigkeit | |
| IV. Beschwerdegegenstand |II. Vorlagegegenstand, Art. 100 I GG |
| V. Beschwerdebefugnis |III. Vorlagegrund, Art. 100 I GG |
| VI. Rechtswegserschöpfung | |
| VII. Form und Frist |IV. Form und Frist, §§ 23, 80 ff. BVerfGG |
| VIII. Rechtsschutzbedürfnis | |
| IX. Ergebnis |V. Ergebnis |
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# A. Zulässigkeit der konkreten Normenkontrolle, Art. 100 I GG, § 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG
## I. Vorlageberechtigung, Art. 100 I GG
* Gem. Art. 100 I GG sind *Gerichte* vorlageberechtigt
* Gem. Art. 92 GG sind *Gerichte* unter anderem die Gerichte der Länder
* Das LG Berlin ist ein solches Gericht und damit vorlageberechtigt
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## II. Vorlagegegenstand, Art. 100 I GG
* Gem. Art. 100 I GG sind Gesetze taugleicher Vorlagegegenstand
* Nur: förmliche und nachkonstitutionelle
* Hier soll § 566d I, II BGB vorgelegt werden, mithin ein tauglicher Vorlagegegenstand
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## III. Vorlagegrund, Art. 100 I GG
Voraussetzungen:
* Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit
* Entscheidungserheblichkeit
Note:
- Zweifel reichen hier nicht aus
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## IV. Form und Begründung, §§ 23 I, 80 II BVerfGG
* schriftlich
* Begründung (§ 23 I 1, 2 Hs. 1 BVerfGG)
* Notwendige Angaben: Zur Entscheidungserheblichkeit und zur verletzten, höherrangigen Norm
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## V. Ergebnis
Die Vorlage des LG Berlin ist zulässig.
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3. Fallfrage: Verstoßen die Änderungen durch das Mietrechtsnovellierungsgesetz gegen Art. 14 GG? Die Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung ist dabei unterstellt.
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# Verletzung von Art. 14 GG
>Eine Verletzung von Art. 14 liegt vor, wenn der Schutzbereich des Art. 14 eröffnet ist, durch das Gesetz in diesen eingegriffen wird und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt werden kann.
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## I. Eröffnung des Schutzbereiches
- Art. 14 I GG schützt alle privaten vermögenswerten Rechte, also auch das zivilrechtliche Sacheigentum (vgl. § 903 BGB)
- dessen Besitz und die Möglichkeit es zu nutzen
Note:
Dazu gehört unter anderem auch die Ertragsziehung aus der vertraglichen Überlassung des Eigentums an andere zur Bestreitung der finanziellen Grundlage für die eigene Lebensführung.
Hierzu zählt auch das Eigentum von Vermietern, die dieses vermieten wollen.
Eben diese Befugnisse werden durch § 556d BGB tangiert.
**Umstrittene Fälle**
- Besitz des Mieters an Wohnraum
- ALG I
- Gewerbebetrieb / Gewinnaussichten
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## II. Eingriff
Art. 14 I enthält zwei Formen der Beschränkung:
* Die **Inhalts- und Schrankenbestimmungen** i.S.d. Art. 14 I S. 2 GG verkürzen eine bereits bestehende oder noch entstehende Eigentumsposition durch abstrakt-generelle Festlegungen von Rechten und Pflichten des Eigentümers
* Die **Enteignung** i.S.d. Art. 14 III GG ist die finale, konkret-individuelle Entziehung des Eigentums für öffentliche Zwecke
Note:
Beide Varianten in der Klausur nennen - mit der Enteignung anfangen, um dann zu den Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu kommen
Verkürzen gezielt eingreifende und das Eigentum vollständig oder teilweise entziehende gesetzliche Bestimmungen konkret-individuell, stellen sie Eingriffe in Form von einer Enteignung dar (sog. enger/formaler Enteignungsbegriff).
Zudem muss ein Güterbeschaffungsvorgang vorliegen: Es muss zur Erfüllung konkreter öffentlicher Aufgaben eine Rechtsübertragung erfolgen. Sind diese formalen Voraussetzungen nicht erfüllt, handelt es sich in der Regel um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung.
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## III. Rechtfertigung
Es ist fraglich, ob dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Dafür muss eine verfassungsrechtliche Eingriffsermächtigung vorliegen und das Gesetz formell und materiell Verfassungsgemäß sein.
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### 1. Einschränkbarkeit
Art. 14 I 2 GG: "Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt."
Hierbei handelt es sich um eine mit einem einfachen Gesetzesvorbehalt vergleichbare Eingriffsermächtigung
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### 2. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Laut Sachverhalt ist § 556d BGB formell verfassungsgemäß.
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### 3. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Insbesondere: **Grundsatz der Verhältnismäßigkeit**
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a) Legitimer Zweck
b) Geeignetheit
c) Erforderlichkeit
d) Verhältnismäßigkeit i. e. S./Angemessenheit
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#### a) Legitimer Zweck
* *Ein legitimer Zweck ist jedes öffentliche Interesse das verfassungsrechtlich zumindest nicht ausgeschlossen ist.*
* Hier: soziale Zwecksetzung, Verhinderung der Verdrängungswirkung höherer Mietpreise
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#### b) Geeignetheit
* *Ein Mittel ist geeignet, wenn es den Zweck zumindest fördert*
* Beachte: Gesetzgeberische Einschätzungsprärogative
* Hier ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass das Mittel der gesetzlichen Mietpreisbremse einen Anstieg der Mietpreise zumindest verzögert und damit der Zweck gefördert wird.
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#### c) Erforderlichkeit
* *Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein gleich wirksames, die Grundrechte weniger beeinträchtigendes Mittel zur Zweckerreichung zur Verfügung steht*
* Beachte auch hier: gesetzgeberische Einschätzungsprärogative
* Alternatives Mittel? z. B. Zahlung eines Wohngeldes / sozialer Wohnungsbau
* Aber: Gleiche Effektivität fragwürdig; jedenfalls: Entscheidung für die Mietpreisbremse ist i. R. d. Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers
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#### d) Verhältnismäßigkeit i.e.S./Angemessenheit
* *Die Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn sie die Grenze der Zumutbarkeit wahrt. Es ist hier zwischen der Intensität des Eingriffs einerseits und dem Gewicht der in rechtfertigenden Gründe andererseits abzuwägen.*
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##### Schritt 1: Abstrakter Wert des betroffenen Rechtsguts
* Für eine höhere Intensität spricht: Soweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert, genießt es einen besonders ausgeprägten Schutz.
* Für eine geringere Intensität spricht: Nur eine Beschränkung der Anhebung der Miete bei Neuvermietungen. Grundsätzlich bleibt die Verfügunsbefugnis der Vermieter:innen unberührt; Bestandsmieten bleiben unberührt!
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##### Schritt 2: Gewicht der rechtfertigenden Gründe
* Soziale Zwecksetzung der Regelung: Verhinderung von Verdrängung einkommensschwächeren Bewohner*\innen aus angestammten Quartieren
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##### Schritt 3: Abwägung
* Befugnis des Gesetzgebers zur Ausgestaltung des Eigentums durch Inhalts- und Schrankenbestimmung umso weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht
* Daher: weiter Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers!
* Abmilderung der Intensität des Eingriffs durch Zulassung einer Mieterhöhung bei Neuvermietung bis zu einer Grenze von 10 % über der orstüblichen Vergleichsmiete
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#### d) Zwischenergebnis Materielle Verfassungsmäßigkeit
Die Regelung des § 566d I, II BGB ist materiell verfassungsgemäß.
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### 4. Zwischenergebnis verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Der Eingriff in Art. 14 I GG ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
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## IV. Ergebnis
§ 566d I, II BGB stellt keine Verletzung des Art. 14 I GG dar.
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## Danke!
Dieser Text steht unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 ([https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de](https://)). Er beruht auf dem Werk von Katharina Goldberg, in: Grundrechte-Fallbuch, ebenfalls veröffentlicht unter der Lizenz CC BY-SA 3.0. Für Änderungen ist allein der/die Urheber*/in dieser Überarbeitung verantwortlich
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